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Wennmacher, Nico : Der EU-Verfassungsvertrag aus gewerkschaftlicher Sicht

Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben sich im Juni 2004 über eine Verfassung für Europa geeinigt. Der einstimmig beschlossene Vertrag soll einen Kompromiss darstellen, der die bisherigen Grundlagen der E.U. zusammenführt, gemeinsame Ziel- und Wertvorstellungen festhält, neue Kompetenzen und Instrumente schafft. Die Fortschritte, die der Vertrag enthält, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Erwartungen in Richtung Beschäftigungs- und Sozialunion nicht nur nicht erfüllt werden, sondern dass wir uns immer weiter davon entfernen.

Bei der Diskussion um den Verfassungsvertrag muss man vorsorglich darum bitten, dessen Befürworter und Gegner nicht in gute und schlechte Europäer einzuteilen. Obwohl der europäische Gewerkschaftsbund EGB sich für den Verfassungsvertrag ausgesprochen hat, stößt er bei bedeutenden Gewerkschaftsbünden und großen Einzelgewerkschaften auf Widerstand.

Für Uneingeweihte stellt sich natürlich die Frage, weshalb Gewerkschaften, welche während Jahrzehnten das europäische Einigungswerk unterstützt haben, diesen Vertrag ablehnen ? Da der Verfassungsvertrag umfangreich und schwer verdaulich ist, will ich mich bei dieser Stellungnahme auf einige Aspekte konzentrieren, die aus Gewerkschaftssicht als besonders wichtig erscheinen.

Die europäischen Institutionen

Der Verfassungsvertrag erweitert die Rechte des E.U. Parlamentes auf ganz bescheidene Weise. Das EP kann sich über die einzelnen Kandidaten aussprechen, welche eine Funktion in der Kommission bekleiden sollen.

Dennoch bleibt es dem Europäischen Parlament, der einzigen Instanz, welche aus freien und geheimen Wahlen hervorgeht, untersagt, in Eigenregie Gesetze zu erlassen. Es kann Änderungen vorschlagen und sein Veto bei Entscheidungen des Ministerrates einlegen.

Bezüglich dem Transportsektor möchten wir darauf hinweisen, dass das E.U. Parlament 2003 eine Richtlinie zur Liberalisierung der Hafendienstleistungen ablehnte und zahlreiche Änderungsvorschläge verabschiedete. Gleiches war 2001 der Fall bezüglich der Verordnung betreffend der obligatorischen Ausschreibung der öffentlichen Verkehrsdienstleistungen. Die mehrheitlich vom E.U. Parlament verabschiedeten Vorschläge erhielten nicht, wie in allen nationalen Parlamenten üblich, Gesetzeskraft. Die Kommission musste wohl oder übel die Richtlinie und das Reglement zurückziehen. Sie hat allerdings beide Projekte in leicht abgeänderter Form wieder auf den Instanzenweg gebracht.

Grundrechtcharta

Im Teil II des Verfassungsvertrages wird die Grundrechtcharta verankert. Die Aufnahme von Grundrechten und insbesondere der sozialen Grundrechte in das Primärrecht der E.U. war für die Gewerkschaften ein wichtiges Anliegen und ist daher als positiver Schritt zu würdigen. Allerdings ist die Grundrechtcharta das Ergebnis zahlreicher Kompromisse und daher ist die Geltung einzelner Rechte durch nationale Vorbehalte eingeschränkt geblieben. Das Recht auf Arbeit wie es in den meisten nationalen Verfassungen verankert ist, wurde zu einem Recht zu arbeiten und einen frei gewählten Beruf auszuüben. Auch wenn das Recht auf Arbeit keinen Arbeitsplatz garantiert, so wird von diesem Recht, das Recht auf Ersatzeinkommen bei Arbeitslosigkeit, Krankheit und Alter abgeleitet. Letztlich ist der Anwendungsbereich dieser Charta auf das Handeln der E.U. - Institutionen beschränkt und betrifft die Mitgliederstaaten nur bei der Durchführung von E.U. Recht. In der Sozialpolitik haben die Mitgliedsstaaten weitgehend die Kompetenz behalten.

Sozial- und wirtschaftspolitische Zielsetzungen

Die allgemeinen sozialpolitischen Zielsetzungen werden in den allgemeinen Zielen der Union - Teil I des Verfassungsvertrages - gestärkt, was eine Verbesserung darstellt. Aber es erfolgt keine entsprechende Verankerung von Wachstum und Beschäftigungszielen in den konkreten Politikbereichen im Teil III des Verfassungsvertrages. Somit bleibt gemäß Artikel III 69 des Verfassungsvertrages die Wirtschaftspolitik dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit dem freien Wettbewerb verpflichtet. Die Geld- und Wechselkurspolitik soll dabei das Ziel der Preisstabilität verfolgen und davon unbeschadet die allgemeine Wirtschaftspolitik unter Beachtung des Grundsatzes einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb unterstützen.

Öffentliche Dienstleistungen

Die öffentlichen Dienstleistungen werden durch den Verfassungsvertrag keineswegs sichergestellt. Sie sollen sich dem allgemeinen Wettbewerbs- und Beihilferecht unterordnen. Auffallend ist auch, dass der Verfassungsvertrag von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse spricht und nicht von öffentlichen Dienstleistungen (service public) Artikel II - 96 garantiert den Union-Bürgern den gleichberechtigten Zugang zu Dienstleistungen von allgemeinen wirtschaftlichen Interessen soweit diese vorhanden sind. Er sichert aber den Bürgern das Recht nicht zu, dass diese Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge auch bereitgestellt werden.

In verschiedenen Stellungnahmen wird der Artikel III-122 als Fortschritt dargestellt, da er den Stellenwert der Dienste von allgemeinen wirtschaftlichen Interessen anerkennt. In den Artikeln III-166 + 167 wird allerdings die Möglichkeit zur Finanzierung dieser Dienste in dem Sinne eingeengt, dass hierdurch der freie Wettbewerb nicht angetastet werden darf. D.h. diese Dienste müssen sich dem Beihilferecht, dem Wettbewerbsrecht und den Sonderreglungen für den öffentlichen Verkehr unterwerfen.

In Bezug auf die Liberalisierung der öffentlichen Dienste sei noch Artikel III - 148 erwähnt, welcher festhält : „Die Mitgliedsstaaten bemühen sich, über das Ausmaß der Liberalisierung der Dienstleistungen, zu dem sie auf Grund dem nach Artikel III - 147 Absatz 1 erlassenen Europäischen Rahmengesetz verpflichtet sind, hinauszugehen, falls ihre wirtschaftliche Gesamtlage und die Lage des betreffenden Wirtschaftszweiges dies zulassen“.

Wichtig scheint auch zu erwähnen, dass Liberalisierungsentscheidungen mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden, dass aber soziale Begleitmaßnahmen in Form von Mindestnormen der Einstimmigkeit bedürfen.

Schlussfolgerungen

Der Verfassungsvertrag enthält geringe Fortschritte in Bezug auf den institutionellen Rahmen der E.U. Die Aufnahme der Grundrechtcharta ist ein positives Zeichen, auch wenn hierdurch den Arbeitnehmern wenig neue Rechte erwachsen. Was vor allem stört, ist die Festschreibung der neoliberalen Politik wie sie seit Jahren praktiziert wird. Dies lässt befürchten, dass die Arbeitslosigkeit weiter zunimmt und dass die Arbeitnehmerrechte, einschließlich des Rechts auf gute öffentliche Dienstleistungen, auf dem Altar einer ungezügelten freien Marktwirtschaft geopfert werden.

Nico Wennmacher
Der Autor ist Präsident des Landesverbandes FNCTTFEL

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