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Frentz, Claude : Grobe Verfälschung der Realität...

...oder wie Regierung, "Opposition" und Parteipresse bei der Kampagne um das Referendum zur EU-"Verfassung" diffamieren und manipulieren

von Claude Frentz, Mitglied Komitee NEIN zu dieser "Verfassung"

In einem Artikel “Referendum in der ersten Julihälfte 2005 ?” (LW, 29.10.04, S.3) der als sympthomatisch für die Haltung der hiesigen Parteipresse gelten kann, behauptet Marc Glesener (MaG) unter der reißerischen Überschrift “Extremlinke sagt Nein”, dass die “einzigen Verfassungsgegner (...) sich am linken Rand des Luxemburger Politik-Spektrums.” (befinden, C.F.). Zu diesem Artikel kommt dann auch noch eine Karikatur, die als einzigen “Verfassungsgegner” einen alten, engstirnigen, mit Hammer und Sichel verunzierten Leninisten zeigt, der nur so darauf lauert das holde Europa ins verhängnisvolle Chaos zu stürzen.

Es wird deutlich, dass hier eine Gleichstellung zwischen “Verfassungsgegnern” und vermeintlichen Extremisten und ewigen Neinsagern betrieben werden soll, was aber eine grobe Verfälschung der Realität darstellt, an der sich auch zunehmend aktuelle und ehemalige Regierungsmitglieder beteiligen. [1]

Allerdings vereinigt unser, partei-politisch neutrales und auf individueller Mitgliedschaft basierendes, Komitee für ein Nein zu dieser EU-“Verfassung”, Menschen, die sich ernste Sorgen um die europaischen Ideen und Werte machen. Unserer Meinung nach zementiert diese “Verfassung” den aktuellen, immer neoliberaleren, militaristischen und autoritären Kurs verschiedener EU-Institutionen (Kommission, EU-Rat). Explizit, werden im dritten Teil dieses "Verfassungstextes", die bisher geltenden monetaristischen und neoliberalen Verträge (acte unique, Maastrichter Vertrag, ..) als eigentliche Grundlage der EU festgeschrieben. Aber kann der einzig nach dem Konkurrenzgedanken und der grenzenlosen Profitgier organisierte “freie Markt” das Mass aller europaischen Dinge sein ? Wir meinen Nein ! Ausserdem sind wir gegen eine Aufrüstung der EU-Mitgliedsländer, die in dieser "Verfassung" festgeschrieben wird. Um so "EU-konform" zu sein, hat Minister Luc Frieden bereits eine 300%( !) Erhöhung des luxemburger Militärhaushaltes angekündigt. In Zeiten fallender Steuereinnahmen - wiederum direkte Konsequenz der neoliberalen Dogmatik -, wahrlich ein starkes Stück !

Wer sich mit unseren Argumenten, die wir sehr wohl mit konkreten Artikeln aus der "Verfassung" belegen können, beschäftigt wird schnell feststellen, dass wir eine Reihe konkreter Alternativvorschläge zu machen haben und uns in einer konstruktiven Logik befinden.In diesem Zusammenhang sei unsere Forderung nach einer wirklich verfassungsgebenden Versammlung, deren Zusammensetzung basisdemokratisch legitimiert wurde erwähnt. Dass es auch zu den im III. Vertragsteil eingemeisselten neoliberalen Wirtschaftspolitiken konkrete Alternativen gibt zeigt etwa das EU-Memorandum hunderter Wirtschaftswissenschaftler das Ende des letzten Jahres vorgelegt wurde. [2]

Um überhaupt eine faire, ehrliche und öffentliche Debatte zu dieser zentralen, politischen Frage der “EU-Verfassung” herbeizuführen, hat dieses offene und transparente Komitee bereits eine Reihe an Vorträgen und Konferenzen international bekannter Experten (Politikwissenschaftler Raoul Marc Jennar von Oxfam-Belgien, Staatsrat Yves Salesse von der Fondation Copernic aus Frankreich, Horst Schmitthenner von der deutschen IG-Metall und Jacques Généreux, Ökonomieprofessor und Mitglied der Exekutive des französischen P.S.) organisiert, die aber jeweils fast gänzlich von der hiesigen Presse boykottiert wurden. In wessen Auftrag oder handelt es sich sogar um Selbstzensur der Presse ? Wird so etwa eine breite, öffentliche und basis-demokratische Debatte gefördert ?

In unserem offenen Komitee sind eine Reihe von Menschen aktiv, die durch ihren pemanenten Einsatz in Organisationen der Luxemburger Zivilgesellschaft bekannt sind, und die noch nie in irgendeiner politischen Partei aktiv waren oder sind ! Neben Menschen, die sich selber als Linke (in Parteien organisiert oder nicht) sehen, findet man in unserem Komitee auch Personen, die sich selber wohl eher als Liberale, Christen, Demokraten, ... betrachten. Zudem gibt es in unsere Gruppe eine Reihe von Leuten, welche jedes politische Label ablehnen.Übrigens arbeiten in unserem Komitee auch ehemalige oder aktuelle Mitarbeiter/innen europaïscher Institutionen mit. Auch sind etliche unserer aktivsten Mitglieder von der Wahl ausgeschlossen, da sie nicht über die luxemburgische Staatsangehörigkeit besitzen aber gerade auch die Menschen repräsentieren die oft als erste hierzulande das durch Sozialabbau und Arbeitslosigkeit gekennzeichnete neoliberale System am eigenen Leib zu spüren bekommen.In diesem Zusammenhang sei aber noch einmal darauf hingewiesen, dass die Nicht-Teilnahme selbst von EU-Bürgern ohne luxemburgischen Pass lehrbuchhaft zeigt wie weit der herrschende jubeleuropaïsche Diskurs der JA-Sager in Amt und Ehren - logischerweise musste hier das rechtslastige ADR dieser diskriminatorischen Logik folgen - mit der wirklichen Bereitschaft zu mehr Integration der, zum Teil seit Jahrzehnten hier wohnhaften, Menschen ohne luxemburgischen Pass kontrastiert.

Das Komitee NEIN zur Verfassung ist ein heterokliter Zusammenschluss der sich auf Basis eines emanzipatorischen Grundlagentextes - auf dieser Internetseite ersichtlich - geformt hat und offen für jede/n ist, ausser für Menschen mit diskriminatorischem Gedankengut. Es wird also ersichtlich, dass das Bild komplexer ist, als es MaG und die hiesige Parteipresse wahrhaben will. Und : Auch wenn wir, im Gegensatz zu Frankreich etwa mit Laurent Fabius (PS) oder in der Tschechei mit Präsident Vaclav Klaus, in unserem Komitee bisher noch keine politischen Schwergewichte von “Pro”-Parteien aufnehmen konnten, so sind durchaus schon Basismilitanten von Parteien bei uns gesichtet worden, deren Spitzen sich offiziell für ein “Ja” ausgesprochen haben.

Unser Komitee hat die Regierung in mehreren Briefen darum gebeten, für eine faire und ausgeglichene Diskussion zu sorgen, in der Vertreter des “Ja” und des “Nein” zu Wort kommen können. So forderten wir, dass es uns ermöglicht sein müsste jedem Haushalt eine Zusammenfassung unserer Argumente zukommen zu lassen, da wir dies ohne staatliche Hilfe nicht bewerkstelligen können. In den Niederlanden hat die Regierung den jeweiligen JA und NEIN - Kampagnen jeweils 400 000 Euro zu Verfügung gestellt. Und in Frankreich ist die Regierung gar vom Conseil constitutionnel dazu aufgefordert worden sich lediglich auf die Verbreitung des Verfassungstextes zu beschränken und die jeweiligen Kampagne alleine den Parteien zu erlauben. Und in Luxemburg ? Nichts von alledem ! Die Argumente und Veranstaltungen des progressiven NEINS werden totgeschwiegen, progressive NEIN-Sager werden bestenfalls als politishe Wirrköpfe und schlimmstenfalls als rechts-extreme ANTI-Europäer gebranntmarkt. [3] Natürlich gibt es bei all jenen die mit NEIN stimmen werden auch jene die dies aus nationalistischen und chauvinistischen Gründen tun werden. Mit diesen Leuten möchten wir genau so wenig zu tun haben als mit solchen Mustereuropäern wie dem italienischen Neo-Faschisten Fini, dem österreichischen Rechtspopulisten Haider oder dem französischen Law & Order Politiker Sarkozy die allesamt vehemente Verfassungstextbefürworter sind und gleichzeitig alles daran setzen um das christliche Abendland vor dem EU-Beitritt der Türkei zu "retten".

Aus progressistischer Sicht sei auch hervorgehoben, dass das gesamte Patronat für die Annahme der "Verfassung" ist. Hierbei sind wir der Auffassung, dass die Eliten dabei sind das Projekt Europa auf dem Altar des Turbokapitalismus zu opfern. Das neoliberale Wirtschaftssystem in dem alleine nur noch die Shareholder-Value zählt, in dem Börsenkurse gleichzeitig zu den Arbeitslosenzahlen steigen wird durch diese "Verfassung" zementiert ! Ist dies im Geiste Europas ?

Wer konkrete Bestimmungen der CECA-Verträge mit denen der aktuellen "Verfassung" vergleicht wird vielleicht erkennen, dass wir von Schumanns Grundgedanken eines federalistischen sozialstaatlichen Regulationsmodells nun immer mehr in eine entfesselte Freihandelszone mit autoritärem innenpolitischem Charakter und agressiver militaristischer Aussenpolitik hineinschlittern, die letztlich das vorzeitige Ende eines wirklichen politischen und sozialen Europas möglich macht.

Aber diese Behauptungen, die wir jederzeit konkret mit Artikeln der "Verfassung" untermauern können sind es wohl nicht wert, dass darüber kritisch diskutiert wird. Denn wie sonst erklärt sich die regelrechte Propaganda der Regierung (mit Hilfe der ihr willigen Parteipresse) die mittels Hochglanzbrochüren diesen doch offensichtlich sehr umstrittenen Text (siehe Umfrageergebnisse in Frankreich, Niederlande, Grossbritannien, Dänemark, ...) in den schönsten blau-gelben Farben durch ein paar nichtssagende Floskeln und unbegründeten, da nicht mit konkreten Artikeln untermauerten Behauptungen den mit 482 Seiten ellenlangen "Verfassungsvertrag" auf Faltblattgrösse zusammenfasst und das ganze dann auch noch als vermeintlich objektive "Informationen für den Bürger" verkaufen will.

Die in letzter Zeit verstärkt einsetzende Berichterstattung über das “Ja” bzw. Ignorierung und/oder Diffamation des NEIN, lassen uns Böses erahnen. Wer nicht mit JA stimmt wird Europa ins Chaos treiben und sowieso kann es keine Alternative wie zum Beispiel ein demokratisch legitimierter Bürgerkonvent geben. Dabei ist das Chaos schon da : die marktradikalen Wirtschaftsrezepte haben Europa bereits sehr krank gemacht und die Bolkesteins jeglicher Couleur produzieren immer mehr Armut, Arbeitslosigkeit und Not. Wer aber behauptet, dass eine verfehlte neoliberale Wirtschaftspolitik, die vor allem seit den Maastrichter Verträgen konsequent umgesetzt wird, und die wir jetzt im 3. Teil der konkreten Politiken in der "Verfassung" verschärft wiederfinden und die gänzlich den allgemeinen zu nichts verpflichtenden schönen Verlautbarungen des 1. Teils wiedersprechen, Ursache an der wirtschaftlichen Krise sein könnte wird als anti-europäischer Ketzer gebranntmarkt. Aber so weit sollte doch bitte niemand lesen, denn wie Lydie Polfer in der Revue kürzlich behauptete, sollte das Stimmvieh doch vor allem den 1. und 2. Teil der "Verfassung" lesen, das verpflichtende Kleingedruckte des 3. Teils kann getrost ignoriert werden genau wie die sehr wichtigen Protokolle und "Erklärungen" (etwa Erklärung 12 zur Charta der Grundrechte, die diese de facto relativiert).

Ohne sich einschüchtern und von dieser Art von "Informationspolitik" blenden zu lassen, sollte sich jeder fragen wie sich seine persönliche Situation im letzten Jahrzehnt im Lichte der "freien und unverfälschten Konkurrenz"auf einem entfesselten Markt, das eigentliche Leitmotiv der "Verfassung", entwickelt hat. Dass selbst im Finanzparadies Luxemburg sich die Arbeitslosigkeit und die Kinderarmut exponentiell nach oben entwickelt hat sei bei dieser Beurteilung auch zu bedenken.

Am Ende noch eine Frage an alle Kopfnicker und Jasager in Amt und Würden : Was ist ein Referendum wert, wenn es im Vorfeld nicht zu einer ausgewogenen Diskussion gekommen ist und was bedeutet dies für unsere nach wirklicher Demokratie strebenden Gesellschaft ?

[1] cf. Lydie Polfers Artikel "« La chimère du « Non » au nom d’une autre Europe ! », Letzebuerger Land, 8.04 oder Robert Goebbels "Standpunkt" im Tageblatt vom 26.04.

[2] Das Euro-Memorandums "Jenseits von Lissabon", das von europäischen Wirtschaftswissenschaftlern herausgegeben wurde, kann hier heruntergeladen werden :
www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/Europa/memo-2004.pdf

[3] Zum Beispiel : Lydie Polfers Ausagen zu der Position der UNEL während des Jugendkonvents in der Chamber

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