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Manuel Huss & Claude Kremer : Europas Ringen mit der Demokratie

Manuel Huss und Claude Kremer (huss1201@uni-trier.de) schreiben am 4. Juli 05 9:41 :

Natürlich weisen die Argumente, die uns dieser Tage in Form von Regierungs- und Parteipropaganda eingetrichtert werden, in eine „goldene Zukunft“ für Europa, leider werden ausschließlich positive Aspekte genannt. Die Informationskampagne der Regierung und der Parteien ist demnach alles andere als eine ehrliche Aufklärung. Der Bürger ist also auf sich allein gestellt, wenn er Wert auf eine objektive Aufklärung legt. Wer, aus welchen Gründen auch immer, nicht dazu gekommen ist, den knapp 500 Seiten umfassenden Wälzer zu genießen, sollte sich wenigsten mit dem Ablauf des Referendums und den Grundprinzipien der Demokratie im europäischen Kontext auseinandersetzen, bevor er am 10. Juli zur Urne schreitet.

Der Ablauf des Referendums

Man braucht nicht unbedingt über ein herausragendes Gespür für Politik zu verfügen, um festzustellen, dass es zur Zeit auf der politischen Bühne in Luxemburg nicht mit rechten Dingen zugeht. Pflichtbewußt und mit feinstem politischem Geschick „informieren“, oder besser, manipulieren die Politiker ihr Volk, wo sie nur können. Sie versuchen, wie es der Feierkrop kürzlich äußerst treffend erkannt hat, dem Volk die Verfassung „hineinzuwürgen“. Dabei scheint in Vergessenheit geraten zu sein, dass die eigentliche Aufgabe unserer Volksvertreter darin besteht, die Interessen ihrer Wähler zu vertreten, nicht aber darin, ihnen eine Meinung aufzudrängen. „Ankreuzen könnt ihr „Ja“ oder „Nein“, aber entscheidet euch gefälligst für das „Ja“ !“ Sieht so ein ordnungsgemäßes Referendum aus ? Sollte nicht wenigstens der Staat eine neutrale Position vertreten, wenn sich die Parteien schon aufführen, als könnte man beim Referendum nicht nur „Ja“ oder „Nein“, sondern gleich auch ihr Parteienkürzel ankreuzen ? Die Funktion eines Referendums besteht in der Entscheidungsfindung bei Fragen, welche die gesamte Bevölkerung betreffen, und stellt eine Alternative zu Parteien und Parlament dar. Ein Referendum dürfte dabei kein Spielplatz sein, auf dem sich Politiker machtpolitisch austoben können. Das polemische und teilweise äußerst peinliche Getue der Parteien führt aber unweigerlich zu einer Verfälschung der politischen Realität, führt das Referendum in seiner Essenz ad absurdum und ist demnach als pseudodemokratische Farce zu werten. Nicht vergessen darf man dabei, dass das europäische Volk den Inhalt des Verfassungstextes nicht im geringsten mitprägen konnte. Die Politiker, die den Text ausgearbeitet haben, waren in keinster Weise vom Volk dazu ermächtigt gewesen. Der Referendumprozess samt „Informationskampagne“ stellt demnach eine regelrechte Vergewaltigung von demokratischen Grundprinzipien dar, und zeigt sich dabei nicht sonderlich hilfreich, der EU aus ihrer chronischen Legitimationskrise zu verhelfen.

Die EU und die Demokratie

Wenn von einer Verfassung die Rede ist, spricht man auch logischerweise von einem Staat oder einem staatsähnlichen Konstrukt. Ein Staat ist grob gesehen entweder eine Demokratie oder keine Demokratie, eine Tatsache, die die Frage aufwirft, ob die EU mit dieser Verfassung dem Wesen eines demokratischen Staates gerecht wird. Zu den gängigsten Argumenten der Verfassungsbefürworter zählt mit Sicherheit die Erweiterung der Kompetenzen des europäischen Parlaments. Doch auch, wenn das Parlament durch die Verfassung gestärkt wird, handelt es sich immer noch nicht um ein vollwertiges Parlament, da es nach wie vor nicht über das Initiativrecht verfügt. Das Volk soll nun mittels eines Referendums für eine Verfassung stimmen, in welcher wegen des fehlenden Initiativrechts demselben Volk das Mitbestimmungsrecht entzogen bleibt. Der hoch gepriesene Ersatz hierfür besteht in der Möglichkeit, sich als Volk bei der Kommission zu Wort melden. Eine solche Initiative ist allerdings für die Kommission unverbindlich. Das Volk verfügt also weiterhin nicht über die Garantie, auf europäischer Ebene direkt mitentscheiden zu können, wie es in einer Demokratie üblich ist. Außerdem ist die Verfassung nur noch durch Einstimmigkeit aller 25 Mitgliedstaaten veränderbar. Mit Demokratie hat das im Endeffekt ungefähr soviel zu tun, wie ein Kohlekraftwerk mit Umweltschutz.

Fazit

Erst nachdem man sich mit diesen beiden Punkten befasst hat, sollte man sich mit den „Inhalten“ der Verfassung auseinandersetzen. Hierbei muss man sich gleich mit der Frage auseinandersetzen, ob Inhalte, die z.B. eine einzig mögliche wirtschaftliche Ordnung festlegt, überhaupt etwas in einer Verfassung verloren haben. Übrig bleibt ein Referendum, das keins ist, ein Europa, das die Kriterien eines demokratischen Staates nicht erfüllt und inhaltliche Punkte, die in einer Verfassung eigentlich überhaupt keine Daseinsberechtigung haben. Eigentlich sind das schon Gründe genug, um der Verfassung mehr als nur kritisch gegenüber zu stehen. Desweiteren sollte man aber bedenken, dass sich Europa seit gut sechzig Jahren in einem Aufbauprozess befindet. Wieso sollte Europa gerade jetzt, wo es zunächst die schwerverdauliche Ost-Erweiterung zu verkraften hat, überstürzt in ein schlechtes Verfassungskorsett gezwängt werden ? Außerdem beginnen die europäischen Bürger sich überhaupt erst jetzt für ein politisches Europa zu interessieren. Wäre es also falsch, diese einmalige Chance positiv zu nutzen, bevor wir die vorliegende Verfassung annehmen und damit alle Chancen auf eine andere, bessere, wirklich vom europäischen Volk geprägte Verfassung verspielen ? Sicherlich nicht, und damit besteht die einzige Möglichkeit, Europa eine wirklich gute Verfassung zu verpassen, darin, der vorliegenden Verfassung eine klare Absage zu erteilen. Ein „Nein“ am 10. Juli ist und bleibt die einzige Chance auf ein wahres demokratisches Europa und damit auf das einzige wünschenswerte Europa.

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